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Initiative „Raum für Trauer“, Februar 2023
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Ein Friedhof ohne Tote

Günter Czasny erforscht die Trauer – und realisiert einen Friedhof nur für Lebende

Im baden-württembergischen Ort Süßen baut Günter Czasny (62) einen Friedhof, der gar nicht für Tote gedacht ist, sondern für die Lebenden. Auf ca. 6.000 Quadratmetern lässt er unterschiedliche Bereiche mit Begegnungsflächen und Gräbern errichten. Doch hier sollen keine Toten beigesetzt werden. Und dennoch soll gerade hier spürbar werden, welchen wichtigen Beitrag der Friedhof für die Verarbeitung von Trauer leisten kann – wenn er nach den neuesten Erkenntnissen der Trauerforschung gestaltet ist. Denn während die anhaltende Trauerstörung inzwischen international als medizinische Diagnose klassifiziert ist (ICD 11), stehen aktuelle Trends und Entwicklungen in der Auswahl und Gestaltung von Beisetzungsorten der Verarbeitung von Trauer oftmals entgegen, ist Günter Czasny überzeugt.

Der stellvertretende Geschäftsführer der Kunstgießerei Ernst Strassacker und ausgebildete Trauerbegleiter Günter Czasny erforscht seit 30 Jahren, was bei der Trauerverarbeitung hilft – und hat erkannt, was Trauernde darin unterstützt, ihren Verlustschmerz in ein liebevolles Gedenken zu wandeln. Czasny ist überzeugt: „Die Gesellschaft ist oft hilflos im Umgang mit Trauer und Trauernden. Oft fehlen die richtigen Worte, das Wissen und die Erfahrung. Und manche Beisetzungsformen auf Friedhöfen und auch außerhalb von Friedhöfen (z.B. Beisetzungswälder), die in den letzten Jahrzehnten aufgekommen sind, spenden aus psychologischer Sicht keinen Trost. Dennoch sollte gerade diese positive Trostwirkung die wichtigste Funktion des Friedhofs sein – hierin liegt das größte Potential für seine Zukunft.“ Seinen Erkenntnissen zufolge ist es dafür entscheidend, dass Trauernde am konkreten Beisetzungsort des Verstorbenen ihrer Trauer Ausdruck verleihen können, indem sie dort persönliche Trauerhandlungen ausführen dürfen, wie zum Beispiel Blumen, Briefe oder Erinnerungsgegenstände aufzustellen oder abzulegen. Genau das wurde in den letzten Jahrzehnten bei der nachfragebedingten Entwicklung der meisten pflegefreien Grabformen nicht beachtet. Bei diesen Grabformen werden Trauernde durch ihr Trauerverhalten oftmals zu Störfaktoren im Friedhofsalltag.

„Bei bestimmten Grabformen auf Friedhöfen wie auch in Beisetzungswäldern sind diese wichtigen und Trost spendenden Trauerhandlungen verboten.“ Vielen Trauernden, so Günter Czasny, helfen diese Trauerhandlungen bzw. Rituale am Grab, in gedanklicher Kommunikation mit den Verstorbenen zu bleiben und so ihre Beziehung zu ihnen aufrecht zu halten und allmählich zu wandeln, sie der neuen Realität anzupassen. Dafür, so Czasny, könne und müsse der Friedhof unterschiedliche Bereiche bieten wie zum Beispiel Orte des Rückzugs, der Intimität, der Begegnung und der Kommunikation, an denen Trauernde sich verstanden und willkommen fühlen.

Erkenntnisse aus Forschung und Praxis schaffen Grundlagenwissen
Günter Czasny hat diese und sehr detaillierte Erkenntnisse über Jahrzehnte in der Initiative „Raum für Trauer“ gesammelt. Deren ideeller Träger ist die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal. Ihr Geschäftsführer und Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel ist Dr. Dirk Pörschmann: „Die Initiative ‚Raum für Trauer‘ hat herausgearbeitet, was die Akzeptanz von Friedhöfen wieder steigern kann: Bei der Weiterentwicklung von Friedhöfen und zeitgemäßen Grabformen ist es entscheidend, die Bedürfnisse der Trauernden viel stärker zu berücksichtigen und den möglichen psychologischen Nutzen für Menschen in Lebenskrisen zur Wirkung kommen zu lassen“ weiß Pörschmann.

In den letzten Jahren erfolgte ein enger Austausch mit führenden Trendforschern, namhaften Psychologen, Soziologen, Bestattern und Trauerbegleitern in Deutschland und Österreich. Im Zuge dessen sind unter anderem zwei wissenschaftliche Studien entstanden, die im Kern bestätigen: Gräber können eine tröstende Funktion haben, wenn Menschen ihrer Trauer direkt am Beisetzungsort sichtbar Ausdruck verleihen können. Dazu sind nur kleine Veränderungen an bestehenden Grabkonzepten nötig. Czasny appelliert: „Wir sollten Gräber als Trauerräume verstehen. Wir dürfen die Trauernden nicht in bestehende Geschäftsmodelle hineinzwängen, sondern müssen diese wieder an den Bedürfnissen der Trauernden ausrichten. Nur dann werden aus Dienstleistungen dienliche Leistungen.“

 

Der Trendforscher Matthias Horx schreibt nach Erkenntnissen aus einer Studie seines Zukunftsinstitutes: „Für einen gelingenden Trauerprozess funktionieren die Anonymität der namen- und zeichenlosen Beisetzung und halbanonyme Grabstätten nicht. Mehr noch: Sie widerstreben ihm sogar. Das zeigt sich an den vielfach sehr persönlichen, liebevollen Handlungen, die an solchen Beisetzungsorten immer wieder stattfinden“ (Zukunftsinstitut mit Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov (2018), Trendstudie Trauerkultur der Zukunft).

 

Der bekannte österreichische Psychologe Prof. Dr. Michael Lehofer beschreibt: „Die individuelle Gestaltung des Beisetzungsortes – welcher Formen sie sich auch bedient – ist der Versuch, das Unvergängliche im Moment des Vergänglichen zu repräsentieren. Diese Gestaltung ist die Aktivierung und Materialisierung einer ganz eigenen, menschlichen Sehnsucht nach Nähe“, und: „In der Sehnsucht nach einem Menschen ist man ihm näher, als wenn dieser real bei uns ist und die Sehnsucht nachlässt. Wenn ein Mensch stirbt, ist er uns so nah, wie er es als Lebender nie war. Der Trauerprozess lebt davon, dass man diese Nähe so lange aktualisieren kann, bis die Trauer bewältigt ist. Das Grab (…) – oder jedes andere Zeichen und Objekt am Ort der Beisetzung – ist eine Hilfe für die Aktualisierung der Nähe und damit für die Trauerbewältigung.“

 

Initiative „Raum für Trauer“ als Ausdruck unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung
Die renommierte Kunstgießerei Strassacker in Süßen ist ein Familienbetrieb mit ca. 320 Mitarbeitenden und eine der führenden Kunstguss-Manufakturen im Bereich Kunst, Architektur und sakrale Kunst. Im Oktober 2019 feierte sie ihr einhundertjähriges Bestehen. Die Arbeit der Initiative „Raum für Trauer“ geht zurück auf das Bestreben der Eigentümerfamilie, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Geschäftsführerin Edith Strassacker: „Da der Friedhof als Bestandteil jeder Kommunalstruktur für uns ein wesentliches Geschäftsfeld ist, spüren wir neben unserer unternehmerischen stets auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Seit Generationen leben wir diese als zentralen Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie. Mich hat ganz besonders mein Vater Werner Strassacker geprägt. Schon er hat uns sehr dafür sensibilisiert, nicht nur den Friedhof, sondern vor allem die Menschen, die ihn besuchen, in den Mittelpunkt zu stellen. Aus dieser Verantwortung heraus entstand die Initiative ‚Raum für Trauer‘.“

Neben dem Firmengelände errichtet das Unternehmen gemeinsam mit verschiedenen Fachleuten aktuell das weltweit erste Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung. In intensiven Workshops mit führenden Experten der am Friedhof beteiligten Gewerke und den genannten Vertretern der Wissenschaft wurde hier der „CAMPUS VIVORUM“ entwickelt. Die Eröffnung ist für den 29. Juni 2023 geplant.

 

Internationale Expertise soll Kommunen und Kirchen überzeugen
Der renommierte und mit der Friedhofsgestaltung erfahrene Landschaftsarchitekt Bart Brands (Hilversum, Niederlande) setzt die Erkenntnisse aus Forschung und Praxis gemeinsam mit dem Expertenteam der Initiative planerisch um. Dazu gehört auch die Aufteilung des CAMPUS VIVORUM in unterschiedliche Handlungsfelder. „Auf dem Friedhof sollte alles möglich sein, aber eben nicht überall“, erläutert Günter Czasny.

 

Mit dem CAMPUS VIVORUM, in dem die zukunftsweisenden Erkenntnisse der Trauerforschung umgesetzt werden, will die Initiative Entscheider der öffentlichen Hand und der Kirchen erreichen. „Durch den CAMPUS VIVORUM wollen wir insbesondere kommunalen und kirchlichen Entscheidern, aber auch dem Staat vermitteln, wie leicht der örtliche Friedhof als stark wirkendes Element der sozialen Fürsorgeverantwortung innerhalb der Kommunalstruktur aktiviert werden kann. Aufgrund seiner Bedeutung für das gesellschaftliche Wohlergehen muss auch seine Finanzierung zu einer öffentlichen Aufgabe werden“ schließt Günter Czasny.

Er hofft, dass eines Tages die Vorbildfunktion des CAMPUS VIVORUM ausgedient hat und Friedhöfe in Europa so gestaltet sind, wie es ihre eigentliche Aufgabe erfordert: Trost zu spenden.

Hintergrund: Die Initiative „Raum für Trauer“ (www.raum-fuer-trauer.de) stützt sich auf Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Arbeiten zu den Themen Trauer, Trauerverarbeitung und Trost. Diese sind u.a. in dem Buch „Raum für Trauer“ zusammengefasst. Es ist, ebenso wie die „Acht Thesen zur Trauerkultur im Zeitalter der Individualität“ von Matthias Horx, über www.raum-fuer-trauer.de zu beziehen. Die Initiative wurde ins Leben gerufen von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in Kooperation mit Institutionen, Gewerken, Vereinen und Verbänden der Trauer-, Bestattungs- und Friedhofskultur. Das Familienunternehmen Strassacker, das sich als Kunstgießerei schon seit über 100 Jahren intensiv mit der Trauer- und Erinnerungskultur beschäftigt, hat mit unterschiedlichen Aktionen und Maßnahmen wie auch Forschungsprojekten mit dazu beigetragen, die Initiative zu entwickeln und zu realisieren. Zu den Projekten der Initiative zählt auch die Online-Plattform www.trauer-now.de bzw. @trauernow.

F.d.R.d.A. Tobias Blaurock

 Zum Abdruck freigegeben / Belegexemplar erbeten.

Download-Material:

Presseinformation „Günter Czasny erforscht die Trauer – und realisiert einen Friedhof nur für Lebende“ (PDF 0,2 MB)

Pressefoto: Günter Czasny, verwendungsfrei (Foto: Raum für Trauer, JPG 5 MB)

 

Ansprechpartner für die Presse / Bildmaterial und Interviews, auch vor Ort, gern über:
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Für: Initiative Raum für Trauer c/o Ernst Strassacker GmbH & Co. KG Kunstgießerei | Günter Czasny | Staufenecker Straße 1 | D-73079 Süßen | Tel.: +49 (0)7162 16-344 | guenter.czasny@strassacker.de