Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse
Zahlreiche Studien, Wissenschaftler und Praktiker befassen sich mit aktuellen Sichtweisen zu Friedhöfen und Gräbern, aber auch damit, welchen wertvollen Beitrag Friedhof und Grab wie zu heilsamer Trauer leisten können. Unten zitierte Studien sind im Buch „Raum für Trauer – Erkenntnisse und Herausforderungen“ zusammengefasst, das hier zu finden ist.
Roland Kachler
Zum Grab als sicherer Ort: „Es ermöglicht Beziehungsrituale, Kommunikation, Gespräche und steht für die Präsenz des Verstorbenen trotz seiner Abwesenheit. Hier kann der Hinterbliebene trauern, weinen, lachen – sprich: seinen Gefühlen freien Lauf lassen.
Zum Grab in seiner besonderen Eignung für Erinnerungsrituale: „Genau so ist es. Hier können Hinterbliebene Lichter anzünden, persönliche Gegenstände oder Blumen ablegen etc. Ich würde sogar sagen, ein Grab wird erst dann seinem Sinn gerecht, wenn man diese Dinge tun darf.“

Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer
Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Psychotherapeut. Er ist ärztlicher Direktor der Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz und ärztlicher Direktor am LKH Graz Süd-West. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen u. a. im Bereich der Depressionen und neurobiologisch-psychosozialer Ansätze in der Therapie, Veränderung und Entwicklung. Darüber hinaus ist er Autor mehrerer Bücher zum Thema Selbstliebe.
„Wir dürfen den Menschen keinen Beisetzungsort aufzwingen, der für sie keine Funktion und damit keinen Nutzen hat. Wir müssen ihnen einen Ort schenken, an dem sie mit ihrer Trauer so frei umgehen dürfen und können, wie es ihnen guttut. Dazu müssen wir die Welt
der Friedhöfe nicht völlig neu erfinden. Wir müssen aber achtsamer hinschauen, was dort gegenwärtig passiert und warum die Menschen so handeln, wie sie handeln. Wenn wir das verstehen, gelingt es uns besser, das bereitzustellen, was es braucht, damit unsere Friedhofskultur den fließenden Übergang aus der Trauer heraus hin zum Gedenken an Verstorbene ermöglicht. Dann kann der Friedhof so wirkungsstark sein, dass er zu einem ,Kraftort‘ wird, aus dem Menschen Energie ziehen können. Damit wird er auch für das Gemeinwohl einer ganzen Kommune eine wertvolle, positive Wirkung haben.“
Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer

Matthias Horx
Matthias Horx ist Gründer des Zukunftsinstituts. Der Trend- und Zukunftsforscher widmet sich in seiner langjährigen Arbeit zu Transformationsprozessen in Gesellschaft und Wirtschaft immer wieder auch Untersuchungen und soziologischen Fragestellungen zum Wandel der Trauer-, Bestattungs- und Friedhofskultur, bedingt durch die großen Trends der gegenwärtigen Epoche wie die Individualisierung und den Wertewandel.
Matthias Horx: Trauerkultur im Zeitalter der Individualität
zukunftsInstitut (2016-2019)
(Auszüge):
Die starke Tendenz zu anonymen Bestattungsformen entspringt nicht selten einem negativen Verständnis der eigenen Bedeutung für andere.
Trauer ist innere Verwandlung, deren Gelingen das persönliche Leben bereichert. Beisetzungsorte und deren individuelle Kenntlichmachung durch Trauernde können Erinnerungen an den Verstorbenen bewusst herbeiführen, eine Verbindung zu Verstorbenen aufrechterhalten. Darin liegt die wichtige Möglichkeit, die innere Leere zu füllen, aber auch mit sich und dem Verstorbenen ins Reine zu kommen.
„Orte bleiben unentbehrlich: Traditionelle und neue, individuelle Rituale mit einem örtlichen Bezug – nämlich zur Grabstätte – sind auch in Zukunft von hoher Bedeutung für die Trauerbewältigung.“
Das Zulassen einer selbstbestimmten Gestaltung und freien Handlungsentfaltung am Ort der Beisetzung ist wichtig für eine heilsame Trauer. Der Friedhof ist noch immer ein wichtiger Ort für das Verarbeiten von Trauer. „Der Besuch des Beisetzungsortes erlaubt die direkteste Form der Verbindung mit dem Verstorbenen, aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Verlust. Der Tod wird hierdurch (be-)greifbarer, also realistischer. Handlungen oder Rituale am Ort der Bestattung bieten eine gesteigerte Chance, das Bedürfnis der Aufrechterhaltung, Weiterführung oder ‚Neugestaltung der Beziehung‘ zu dem Verstorbenen zu erfüllen.“, so Matthias Horx, „Individuelle Trauerhandlungen können hier grundsätzlich zu heilsamen Handlungen werden.“ Wichtig dafür ist jedoch die Möglichkeit, sie selbstbestimmt gestalten und frei entfalten zu können. Hierfür, so das Ergebnis der Studie, brauchen Friedhöfe auch Bereiche, die geringer reglementiert sind.
„Trauerbewältigung braucht individuelle Handlungen: In unserer durch Individualisierung gekennzeichneten Gesellschaft werden individuelle Handlungen am Grab zu einem menschlichen Grundbedürfnis, weil sie eine positive Wirkung auf Trauernde und für die Trauerbewältigung haben.“
Erfolgreiche Trauerarbeit, gelingende Trauerbewältigung, braucht Identitätsarbeit. Namen- und zeichenlose Grabstätten eignen sich nicht dafür. Zeitliche Vorgaben, Restriktionen, Erwartungen werden als hinderlich für ein gelingendes Trauern empfunden. Der ideale Friedhof wäre losgelöst von zeitlichen Bestimmungen, zu strengen Vorgaben und Erwartungen, er wäre ein Ort der Ruhe und Individualität. Er sollte landschaftlich eher natürlich gestaltet sein, individuelle Räume mit viel Platz anstelle von Reihengräbern bieten, beispielsweise mit Bänken eine Atmosphäre zum Verweilen bieten. Die Wahl der Beisetzungsform sollte frei sein, über eventuelle Vorschriften zur Grabnutzung (ggf. unterschiedlich in verschiedenen Bereichen des Friedhofes) sollte rechtzeitig aufgeklärt werden, so Matthias Horx.
Aus: Matthias Horx, TRENDSTUDIE „Trauerkultur der Zukunft“, zukunftsInstitut (2016-2019). Die Studie „Trauerkultur der Zukunft“ wurde vom Zukunftsinstitut in Zusammenarbeit mit dem internationalen Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov erstellt.

Dr. Thorsten Benkel
Dr. Thorsten Benkel, geboren in Kaiserslautern, ist Akademischer Rat für Soziologie an der Universität Passau. Er studierte Soziologie, Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft und beschäftigt sich in Forschung und Lehre vor allem mit qualitativer Sozialforschung sowie mit der Soziologie des Rechts, des Körpers und des Wissens.
Dr. Thorsten Benkel und Matthias Meitzler: Trauerkultur in der Moderne
Die Studie erkennt einerseits einen Trend weg vom klassischen Friedhof. Sie belegt andererseits, dass erst nach der Entscheidung für den Beisetzungsort, nämlich wenn Hinterbliebene ihre Trauer verarbeiten müssen, in vielen Fällen die Notwendigkeit erlaubter Trauerhandlungen am konkreten Beisetzungsort offensichtlich wird.
„… Die Menschen wollen sich einbringen, wollen ihrer Trauer am Beisetzungsort mittels persönlicher Gesten und Rituale individuellen Ausdruck verleihen. …“
Die Studie „Trauerkultur in der Moderne“ beschreibt einen Wertewandel in der Gesellschaft von eher kollektiv sozialisierten Generationen hin zu stärker individualisierten Lebenskonzepten, die seit den Jahrgängen der 70ger und 80ger Jahre zunehmen.
Dr. Thorsten Benkel und Matthias Meitzler, Trauerkultur in der Moderne. Forschungsprojekt zur Pluralisierung des Sepulkralen an der Universität Passau (2016-2018)

Matthias Meitzler
Matthias Meitzler, M. A., geboren in Groß-Umstadt, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau. Matthias Meitzler studierte Soziologie, Geschichte, Psychologie, Psychoanalyse und Ethnologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Soziologie des Alterns des Todes, der Mediatisierung und der Inter-Spezies-Beziehungen.
Lehrstuhl / Forschung
Der Master-Studiengang Perimortale Wissenschaften an der Uni Regensburg unter Prof. Dr. Rupert M. Scheule beschäftigt sich ebenfalls mit Fragen der Sepulkralkultur: „Sterben ist Zukunftsthema einer alternden Gesellschaft. Auf Sterben, Tod und Trauer sind viele soziale Teilsysteme, Institutionen, Organisation, Berufsgruppen und ehrenamtlich Engagierte bezogen.“